Der „Ethno-Serialismus“ des Pierre Boulez
- Fach laut Studienplan
- Analyse, musiktheoretisches Seminar
- Lehrende
- Prof. Sebastian Sprenger
- Termin
- Donnerstag, 10.30 - 12.00 Beginn: 9. 10. 2025
- Raum
- BP 201
- Dauer
- 1.5 Semesterwochenstunden
- Beschreibung
Aus Anlass von Boulez‘ 100. Geburtstag möchte sich das Seminar dessen Musik primär unter der Fragestellung nähern, welche Spuren die lebenslange Faszination für außereuropäische Musikkulturen im Gesamtwerk des maître hinterlassen hat.
Bereits im Rahmen seines 1943 aufgenommenen Studiums bei Olivier Messiaen übte Boulez sich im Transkribieren von Tonaufnahmen aus den Beständen der Pariser ethnologischen Museen. Während die geplante Teilnahme an einer Forschungsreise nach Kambodscha durch den Ausbruch des Indochina-Kriegs im Jahre 1946 verhindert wurde, bot sich für den jungen Komponisten wenige Jahre später die Gelegenheit, an den Südamerika-Tourneen der (Theater-)Compagnie Renaud-Barrault, für die Boulez Bühnenmusiken komponierte und dirigierte, teilzunehmen. So wurde die Arbeit an späteren Standardwerken des Serialismus wie dem Gesangszyklus „Le Marteau sans maître“ (1954) nicht nur begleitet, sondern auch geprägt durch die Höreindrucke von Musik etwa aus den peruanischen Anden oder der Zeremonien der afrobrasilianischen Candomblé-Religion.
Die Einflüsse dieser und anderer Musikformen auf Boulez‘ eigenes Schaffen, Musikdenken und -fühlen reichen von unmittelbaren koloristischen Anleihen über Konzeptionen zur Satztechnik – Stichwort „Heterophonie“ – und Zeitgestaltung bis hin zur Vision einer seriellen „Ritualmusik“, etwa in der explizit als „Rituel“ betitelten Komposition (1974) zum Gedenken an den kurz zuvor verstorbenen Freund und Dirigenten Bruno Maderna, in der eine „post-religiöse“ Spiritualität des bekennenden Agnostikers Boulez zumindest erahnbar wird.
Zugleich wird deutlich, dass gerade die frühen Stadien von dessen singulärer Karriere in eine Epoche fallen, die politisch und kulturell im Zeichen der oft gewaltsamen Emanzipation ehemaliger französischer Kolonien in Südostasien und Afrika stand. So findet sich der Name Boulez‘ – der sich kurz zuvor im süddeutschen Baden-Baden niedergelassen hatte – unter den 121 Unterzeichnenden der „Déclaration sur le droit à l’insoumission dans la guerre d’Algérie“ (Deklaration über das Recht zur Kriegsdienstverweigerung im Algerienkrieg) aus dem Jahre 1960, was zu einem jahrelangen Einreiseverbot in seine französische Heimat führte. Umso triumphaler geriet freilich mit der Eröffnung des IRCAM (1977) die Rückkehr des „verlorenen Sohnes“, der seither bereits zu Lebzeiten den Status eines kulturellen Nationalheiligen genoss – „Saint Pierre, priez pour nous“ …- Literatur
Boulez, Pierre: Werkstatt-Texte, übersetzt von Josef Häusler, Frankfurt a. M. u. a. 1972
Boulez, Pierre/Schaeffner, André: Correspondance 1954 – 1970, hrsg. von Rosângela Pereira de Tugny. Paris 1998
Campbell, Edward (Hrsg.): Boulez in Context. Cambridge u. a. 2025
Campbell, Edward/O’Hagan, Peter (Hrsg.): Pierre Boulez Studies. Cambridge u. a. 2016
Grabow, Martin: Erfindung, Recycling, Neukomposition. Untersuchungen zur inneren Verflochtenheit des Lebenswerks von Pierre Boulez am Beispiel der notations. Hildesheim u. a. 2016
Losada, Cristina Catherine: Pierre Boulez, Latin America, and the European Avant-Garde after 1950, in: Musica Theorica 2021, V. 6.1
- Credits
- 3 Creditpoints
- Bemerkung
Lehrangebot für BA- und MA-Studierende aller Fachrichtungen.
Anmeldung bitte mit Angabe des Studiengangs unter sebastian.sprenger[at]hfmt-hamburg.de bis 7. 4. 2025.
Leistungsnachweis: Teilnahme an 85% der Lehrveranstaltungen; Referat (bevorzugt) bzw. schriftliche Hausarbeit.- Module
- Musiktheoretisches Modul 1 Instrumentalisten Master, Musiktheoretisches Modul 2 Kirchenmusik A (Master), Wahlmodul freie Wahl (alle Studiengänge)