Bound to perform - Theater, Arbeit, Leistungswahn
Mit Vorträgen von
Prof. Dr. Katja Diefenbach (Europa Universität, Frankfurt/Oder)
Lisa Jopt (Präsidentin der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger)
Prof. Dr. Philipp Staab (Humboldt Universität, Berlin)
Prof. Dr. Jule Govrin (Freie Universität, Berlin)
sowie
Live-Performances von Studierenden der HfMT
Relaxation und Gathering
Partizipations- und Ruheraum
u.v.m.
Wie wollen wir in Zukunft /im Theater/ arbeiten? Welche künstlerischen Arbeitsethiken werden dabei in Anschlag gebracht? Inwiefern lassen sich arbeitskämpferische Haltungen entwickeln, die sich einer zunehmenden Bewirtschaftung der vom Theater ausgesendeten Zeichenordnungen widersetzen?
Nur unweit des Ausgangspunktes des ›Barmbeker Aufstandes‹ vor ziemlich genau 100 Jahren wird die Theaterakademie der HfMT Hamburg zum Austragungsort eines Symposiums, das sich diesen künstlerischen, wissenschaftlichen und durchaus ›gewerkschaftlichen‹ Fragen stellt. Angesichts nicht enden wollender Krisen eines globalisierten Kapitalismus‘ und deren spürbaren Folgen auch in der aktuellen Theaterlandschaft, diskutiert das Symposium theoretische und praktische Konzepte künstlerischer Arbeit, um sie mit Aspekten der Performance in Verbindung zu setzen. Dabei schafft das Symposium Räume für Austausch, Recherche und Aktion, die die Ebenen von theoretischer Reflexion, theatraler Performance und kunstaffiner Raumgestaltung ineinandergreifen lassen.
Programm Kleine Bühne, 11-18 Uhr
11.00 Begrüßung
Welcoming seitens der Studierenden der TAH
Grußwort von Prof. Sabina Dhein (Direktorin der Theaterakdemie)
Einführung von Dr. Benjamin Sprick (HfMT Hamburg): »Die Methode der Dramatisierung – Barmbek, Arbeit, Wahn«
11.30 »Anpassung: Selbsterhaltungsarbeit im Anthropozän«
Prof Dr. Philipp Staab, Humboldt-Universität zu Berlin
Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte war Arbeit vor allem Mittel zur Selbsterhaltung. Erst in der modernen Gesellschaft wurde sie auch zum Ort der Selbstentfaltung. Die materielle Befriedung des Klassenkonflikt war dabei für Jahrzehnte ein Mittel der erfolgreichen Stabilisierung politischer Herrschaft: Sozialer Aufstieg und wachsende Spielräume für das Individuum sicherten Massenloyalität. Nicht nur ist diese Formel im Zeichen wachsender Prekarität und sozialer Ungleichheit in den letzten 40 Jahren zunehmend brüchig geworden. Heute ist das für die Moderne zentrale Versprechen der Selbstentfaltung ist im Kontext der ökologischen Krise, planetarer Risiken und individueller Überforderungen selbst zu einer Quelle der Selbstgefährdung geworden. Mit der Rückkehr von Selbsterhaltungsproblemen rückt Arbeit als Quelle gesellschaftlicher Konflikte und politischer Legitimität in neuer Weise in den Fokus. Am Beispiel verschiedener Formen der Selbsterhaltungsarbeit diskutiert der Vortrag die Frage, welche Rolle Arbeit im Anthropozän für die Stabilisierung politischer Herrschaft spielt.
Philipp Staab lehrt als Professor für die Soziologie der Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität, Berlin.
12.30 Marx niedrigschwellig! (上岸必备)– Frei nach Marx und Kafka
Szenisch-musikalische Performance mit Rongji Liao, Zerui Quan, Benjamin Sprick und Lucas Zach
Sergej Rachmaninov – Klaviersonate No. 2, op. 36,
1. Satz Allegro agitato, Joanna Sielicka, Klavier
13.00 »Performativität der Überbauten – Althussers und dekoloniale Rechtstheorie«
Prof. Dr. Katja Diefenbach, Europa-Universität Frankfurt (Oder)
Der Vortrag führt in Althussers Ideologietheorie ein und diskutiert ihre blinden Stellen, vor allem was die kolonialen Argumentationen von Thomas Hobbes und John Locke anbelangt, ihre kriegs- und arbeitslogischen Narrative von Wölfen und Löwen, Anti-Willen und Unpersonen, für die sich Althusser so sehr interessierte, ohne ihren Zusammenhang mit Atlantikhandel, Landnahme und Versklavung zu berücksichtigen. Deshalb wird es im Vortrag vor allem um die kolonialen Dimensionen der Ideologeme von Arbeit, Souveränität, Krieg und Strafe in der frühmodernen Philosophie gehen, um die heutigen Transformationen dieser Ideologeme besser verstehen zu können. Obwohl das kritische Studium der politischen Philosophie der Neuzeit für Althusser einen »Königsweg zu Marx« darstellte, »vergaß« er ihre koloniale Grammatik zu untersuchen und verstärkte damit den Abbruch zwischen strukturalistischem Marxismus, anti-kolonialer Theoriebildung sowie der Black Radical Tradition. Um diesen Abbruch zu verkleinern, werden wir Althusser durch sein »Vergessen« lesen, durch das, worüber er nicht gesprochen hat, nämlich eine komplexe Ideologietheorie, die die Dimensionen angepasster Subjektivierung und totaler Enteignung, der Normeninternalisierung und der eskalatorischen Gewalt, des freiwilligen Gehorsams und der Produktion von (post)kolonialem »Menschenmüll« in ihren konstitutiven Verflechtungen analysiert. Dafür gehen wir in die ideologische Formationsphase des Racial Capitalism ziwschen Spätscholastik und rationalem Naturrecht zurück, in der ein neuer Herrschaftsnexus entsteht, der Rechtspersonalität, Arbeit, Eigentum und Souveränität entlang der Figur eigenwillentlicher Selbsterhaltung und Selbstverfügung verknüpft. Wer wird aus diesem Nexus aus- und eingeschlossen? Und auf welche Weise? Welche Ideen billiger Natur, instrumenteller Körper, verwertbarer Arbeit und ›herrenlosen‹ Lands werden dabei gestiftet?
Katja Diefenbach lehrt als Professorin für Kulturphilosophie an der Europa-Universität
Viadrina, Frankfurt (Oder).
14.00 Pause
15.00 »Working Bodies. Ökonomie als Körperökonomie in Zeiten entgrenzter Arbeit«
Gespräch mit Prof. Dr. Jule Govrin, Freie Universität, Berlin
Arbeitsstress, Leistungsdruck, Erschöpfung - im Blick auf Arbeit zeigt sich kapitalistisches Wirtschaften als Körperökonomie. Wie wird die affektive und ästhetische Körperarbeit der Gegenwart vom künstlerischem Kreativitätsdispositiv bestimmt? Oder ist die neoliberale Leitfigur des kreativen, selbstoptimierten Selbst längst dem grunderschöpften Selbst gewichen? Angesichts dieser gegenwartsdiagnostischen Fragen umkreist das Gespräch die Zusammenhänge zwischen Ausbeutung und Arbeit, die nicht als solche anerkannt wird, und erkundet das politische Potential neuer Gewerkschaftsgefüge und transversaler Streikformen. Das gemeinsame Gespräch wird gerahmt von kurzen Inputs von Jule Govrin.
Jule Govrin lehrt als Gastprofessor:in für Philosophie im Bereich Gender & Diversity
an der Freien Universität, Berlin.
16.00 Felicia Zeller: X-Freunde – Ein Speed-Reading
Performance mit Till Gedack, Elisabeth Hoppe, Marlene Reiter, Bearbeitung von Margit Pötzsch
16.30 »Jobs kriegen, Jobs verhandeln: Reality-Check Sprechtheater«
Lisa Jopt, Präsidentin der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GBDA)
»Das Narrativ ›Es ist halt kein Geld da!‹ zersetzt unsere Kraft. Dieses Narrativ ist Gift. Es beschädigt unsere Verhandlungsposition und unser Selbstbewusstsein: Denn, wenn kein Geld da ist und das Theater kaputtgeht, weil wir zu viel fordern, dann sind wir ja schuld, dass das Theater kaputtgeht. Dieses Narrativ spielt also mit Schuld. Schuld, die auf das einzelne Individuum, z.B. in der Gagenverhandlung, abgewälzt wird. Schuld, die auch auf die Gewerkschaft abgewälzt wird, die natürlich NICHT schuld sein will, dass Theater schließen müssen. Dieses Narrativ ist eine emotionale Erpressung. Aber wir dürfen uns nicht emotional erpressen lassen, denn viel fordern ist seit jeher die Rolle einer Gewerkschaft. Es ist sogar eine notwendige Strategie auf dem Weg zu einer realistischen Umsetzung.« (Lisa Jopt)
Lisa Jopt ist Schauspielerin und geschäftsführende Präsidentin der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA).
17:30 Abschluss-Wahn: Versteigerung drama(turg)ischer Arbeitszeit und gemeinsamer Übergang in den Partizipations-Raum
Performance von Studierenden der HfMT
Im Anschluss: Get Togather(ing), Happening, Gewerkschafts-Brainstorming
Partizipations-Raum (Regieraum 3)
Relaxed Performance
Reflection
Reading
Conversation Starters
Speed-Dating
Workload-Management
(Detailliertes Programm TBA)
Ruhe-Raum ›Bartleby‹ (Opernstudio)
Audiofassung der Erzählung von Melville
Gelegenheit zum Ausruhen
Relaxation-Space
Contemplation
Sleeping
(Detailliertes Programm TBA)
Eintritt frei
Mit freundlicher Unterstützung der Thörl-Stiftung