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L’Orfeo: Ein interdisziplinäres Projekt

Porträt von Claudio Monteverdi um 1630
Claudio Monteverdi, Gemälde von Bernardo Strozzi (um 1630)

Im Wintersemester 2023/24 wird es an vielen Stellen der Hochschule um Monteverdis L’Orfeo gehen! Neben der praktischen Arbeit in den Proben gibt es ein großes Angebot an Seminaren und Vorlesungen, die sich ebenfalls mit Orfeo, Monteverdi und seiner Zeit beschäftigen. Zielpunkt des Projekts sind zwei halbszenische Aufführung am 12. und 13. Januar 2024 im Rudolf-Steiner-Haus.


Einführung

Monteverdis Orfeo und Madrigale

Claudio Monteverdis Orfeo (gedruckt in Mantua, 1609) ist eine der ersten Opern der europäischen Musikgeschichte, wenn nicht überhaupt die erste, und vereint die Idee, Worte durch Musik zu deuten, singend eine Handlung darzustellen – und all dieses über Akkorden, die als Generalbass notiert sind, also improvisierend realisiert werden.

Zu Monteverdis Zeit war diese Kombination sehr neu und wegweisend. Sie ermutigte Komponisten in ganz Europa, die alte „prima prattica“ zu verlassen und sich der „seconda prattica“ zuzuwenden. Die Freiheit, sich von den strengen Regeln des Kontrapunkts („prima prattica“) lösen zu dürfen, um einen Text zu deuten, muss eine immense Anziehungskraft gehabt haben. In Kombination mit dem Generalbass entstanden hier ganz neue Möglichkeiten, dramatische Musik zu realisieren. Diese führten direkt zur Entstehung der Oper; eine Entwicklung, die sich schon ein paar Jahre früher u.a. in den Euridice-Kompositionen von Jacopo Peri und Giulio Caccini abzeichnete.

Diese neuen Ideen waren nicht unumstritten: es existiert ein sehr emotionaler Briefwechsel zwischen Monteverdis Bruder Giulio und einem Musiktheoretiker namens Giovanni Maria Artusi. Letzterer warf Claudio Monteverdi vor, mit seiner Musik die Regeln zu verletzen und dadurch „fürs Ohr hart und wenig angenehm“ zu sein. G. Monteverdi antwortete in Vertretung seines vielbeschäftigten Bruders, dass dessen Musik auf einer anderen Grundlage komponiert sei, nämlich „dass das Wort die Herrin der Harmonie und die Harmonie Dienerin des Wortes sei“ und dass Artusi eben dies nicht verstanden habe, weil er von der umgekehrten hierarchischen Ordnung, die der „prima prattica“ zugrundeliegt, ausgehe.

Texte anschaulich und sehr intensiv durch Musik zu deuten, war schon länger gebräuchlich, vor allem in Madrigalen, meist mehrstimmigen Vokalkompositionen. Nun entstanden auch Madrigale mit Basso continuo, wodurch sich neue Strukturen ergaben (z.B. Solopassagen mit Continuo zwischen Tuttipassagen), auch waren jetzt Solomadrigale möglich, denn die Harmonie (die ja nach wie vor tragend und notwendig für den Gesamtklang und das Verständnis war) wurde von Akkord-/Bassinstrumenten übernommen.

(Prof. Isolde Kittel-Zerer)

L’Orfeo und das „recitar cantando“

Obwohl nicht das erste Drama im neuen Stil des recitar cantando, repräsentiert Claudio Monteverdis und Alessandro Striggios Favola in MusicaL'Orfeo (Mantua, 1607), einen großen Fortschritt bei der Darstellung widerstreitender menschlicher Emotionen innerhalb einer sich entwickelnden dramatischen Struktur. Nach einem Prolog, der in heroischem deklamatorischem Stil von der Personifikation (Prosopopoeia) der Musik, La Musica, vorgetragen wird, sind die folgenden beiden Akte, die die Hochzeitsfeierlichkeiten von Orfeo und Euridice in einer arkadischen Welt von Hirten und Hirtinnen darstellen, hauptsächlich im bukolischen Stil, und kulminieren in einer Reihe von Liedern und Tänzen, begleitet von Viole da Brazzo oder Flautini und einem Basso Continuo, der hauptsächlich aus dem klaren Klang des Clavicembalo, der Arpa Doppia und der Chitarrone besteht.

Der Auftritt von La Messagiera in der Mitte des zweiten Aktes, die diese pastoralen Festlichkeiten abrupt mit ihrem Ausruf „Ahi caso acerbo“ unterbricht, um den Tod von Euridice hinter der Bühne in Form einer erzählerischen Darstellung der griechischen Tragödie anzukündigen, führt zur Einführung des düsteren und tragenden Basso Continuo des Organo di Legno und markiert sowohl auf stilistischer als auch auf auditiver Ebene einen deutlichen Wechsel vom bukolischen in den tragischen Modus, der das gesamte weitere Werk bis zum lieto fine des fünften Aktes dominiert.

Die emotionale Spannung des L'Orfeo wird durch die strukturelle Bruchlinie dieses seismischen Wechsels erheblich erhöht, zuerst ausgedrückt als eine angespannte Auseinandersetzung zwischen Orfeo und La Messaggiera. In den folgenden Akten jedoch ruft dies eine Psychomachie in Orfeo selbst hervor – zwischen seiner Naivität und seinem Hochmut, zwischen Jubel und Verzweiflung -, die die Grenzen seiner Halbgöttlichkeit aufzeigt und das Ausmaß seiner menschlichen Zerbrechlichkeit angesichts des Verlusts verdeutlicht.

Alessandro Striggios Libretto ist eine abwechslungsreiche Landschaft unterschiedlicher poetischer Stile, rhetorischer Figuren und metrischer Strukturen, die in Monteverdis musikalischer Adaptation des recitar cantando im Sinne des stile nuovo eine Äquivalenz finden, je nach ihrer rhetorischen, dramatischen und vor allem ihrer psychologischen Funktion.

(Prof. Mark Tucker)

Montezine

Im Rahmen des Projektstudiums im Master Kultur- und Medienmanagement haben die vier Studentinnen Lena Plumpe, Merle Hollmann, Michelle Weber und Karoline Lucks ein multimediales und multiperspektivisches Programm-Magazin – das Montezine – erarbeitet, welches die Aufführungen der Oper "L'Orfeo“ von Claudio Monteverdi begleitet. Das Montezine stellt Inhalte rund um die Entstehungszeit der Oper, Fun Facts über Claudio Monteverdi sowie verwandte Themenbereiche vor. So gibt es z.B. ein Kapitel zur Frage, wo eigentlich die ganzen Frauen in der Barockmusik zu finden sind, und viele mediale Inhalte zum Entdecken. Playlists mit toller Barockmusik und Tipps für Literatur und Videos, die kostenfrei im Internet abgerufen werden können, werden Euch mit Sicherheit zu Monteverdi-Fans machen. Wenn ihr bis jetzt noch nicht wisst, wer oder was Eurydike, Orpheus oder diese ganzen Barockinstrumente sind - das Montezine ist für euch.


Lehrangebote

Interne Lehrangebote

Eine Vielzahl interessanter Seminare und Vorlesungen bietet die Möglichkeit, sich in die Welt des „Orfeo“ zu vertiefen.

Einige dieser Veranstaltungen sind öffentlich und enthalten einen Link zur Veranstaltungsdatenbank. Die Hochschulinternen Studienveranstaltungen sind detailliert im Vorlesungsverzeichnis nachzulesen.

  • Seminare historische Aufführungspraxis für Sänger:innen
    Prof. Mark Tucker, Isolde Kittel-Zerer
     
  • Seminar Basso continuo (Schwerpunkt frühes italienisches Continuo)
    Prof. Isolde Kittel-Zerer
     
  • Orpheus divers. Ein Entstehungsmythos der Musik in intersektionaler Perspektive
    Prof. Dr. Cornelia Bartsch
     
  • Monteverdi, L’Orfeo (Seminar Musiktheorie)
    Prof. Volkhardt Preuß

Öffentliche Lehrangebote